Von Monokultur und Zahnpasta

Eine Nachricht wie viele stand in den letzten Tagen in den Zeitungen:

Gewinn bricht ein: EMI feuert Management
London – Das Weihnachtsgeschäft erfüllte die Erwartungen nicht – EMI hatte groÃ?e Hoffnungen auf Alben wie â??Rudeboxâ?? von Robbie Williams oder das Beatles-Album â??Loveâ?? gesetzt. Gewinn und Umsatz von EMI Music seien deshalb im zweiten Halbjahr 2006 enttäuschend gering ausgefallen, erklärte der weltweit drittgröÃ?te Musikkonzern.

Nachdem bereits einige Einzelhändler wie HMV und Woolworth über ein schwaches Weihnachtsgeschäft mit CDs und DVDs geklagt hatten, musste nun auch EMI einräumen, dass man die Nachfrage nach neuen Musiktiteln überschätzt habe. Auf dem wichtigen US-Markt hatte EMI im vergangenen Jahr nach Angaben des Branchendienstes Nielsen Soundscan nicht eine Platte, die es unter die ersten Zehn geschafft hat.

Der Chef der Tochtergesellschaft EMI Music, Alain Levy, und sein Stellvertreter, David Munns, müssen gehen. Ab sofort übernimmt der bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Eric Nicoli (55) die Geschäftsführung. Die Aktie des angeschlagenen Unternehmens verlor daraufhin zeitweilig zehn Prozent…

Eigentlich eine durch und durch normale Nachricht in Zeiten der ach so darbenden Musikindustrie. Was diese Nachricht so besonders macht, ist die unglaubliche Kompaktheit, mit der hier das ganze AusmaÃ? der Misere deutlich wird.

Das bewährte Mittel der Analogie soll nun gewählt werden, um die komplexen Zusammenhänge der Musikindustrie zu verdeutlichen:

Teil 1 – Der Zahnpasta-Hersteller
Stell’ dir vor, du wärst ein Hersteller von Hygieneprodukten des täglichen Bedarfs. Sagen wir mal, hmm, Zahnpasta. Dein Markt ist die also Zahnpflege. Jeder Mensch hat damit zu tun. Schon als Kind kommt man damit in Berührung. Zähne pflegen ist wichtig. Ein riesenmarkt. Viele Geschmäcker, Lebensabschnitte, Kulturen. Ein Universum von Zahnpflege-Möglichkeiten. Ein traumhafter Markt mit riesen Volumen, um das sich viele andere Hersteller wie Du bemühen.

Teil 2 – Das Produkt
Deine Entwicklungsabteilung arbeitet Tag und Nacht. Dein Produktsortiment ist riesig! Viele Geschmacksrichtungen von Zahncreme. Alle möglichen Farben. Für jeden Absatzmarkt eine andere Verpackung. Wahnsinn. Wäre da nicht ein kleines Problem: Alle deine Zahncremes funktionieren ausschlie�lich nur bei Milchzähnen!

Teil 3 – Die Zielgruppe
Deine Zielgruppe sind also alle Milchzahnträger, in der Regel Kinder von 2 bis 14 Jahren. Ein toller Markt. Ständig neue trends. Und Kids haben Taschengeld. Und mit Lizenzen kann man selbst jede noch so dröge Zahncreme zum angesagten Disney-Erlebis ausbauen. Die pubertierenden kannst du mit “Boys-” und “Girls-only” Produkten versorgen. Kurzum: traumhaft!

Teil 4 – Das Problem
Aber halt: War da nicht was? Stimmt ja: Deine teuren Zahncremes kann sich nur die sogenannte “erste Welt” leisten. Und da geht’s mit den Geburtenraten bergab. Zudem ist der Markt heiÃ? umkäpft. Nur noch die allergröÃ?ten Produzenten sind übrig und wetteifern um jeden neuen Milchzahn, den es zu erobern gilt. Zudem haben die Kids mittlerweile mehr Optionen:

  • Der neue iPod hat einen Zahnseidespender eingebaut.
  • Von den Kaugummiproduzenten gibt es coole Zahnpflegekaugummis mit Wodka Flavour.
  • Die ehemaligen Hustenbonbon-Produzenten haben Ihre Produkte zu Zahnkräutermix Dragees gepimpt.
  • Und die Idole der Jugendlichen nehmen es dazu oft auch nicht soo genau mit der Zahnpflege, weil die sich bei einstellen des Erfolges sofort um eine fette Goldfront bemühen.
  • Und so weiter und so weiter…

Teil 5 – Die Reaktion
Wie also reagiert du: Konzentration auf deine Kernkompetenz bei gleichzeitiger Erhöhung des Werbedrucks auf die Zielgruppe. Dein Sortiment wird ausgedünnt, um Werbung weiter zu konzentrieren. Regionale Marken? Weg damit! Länderspezifische Brands? Stehen dem Erfolg eh nur im weg! Drei bis vier Zahncremes müssen reichen! Und die dann weltweit einheitlich sein. Ein Geschmack für alle. Ein Produkt für die Welt. Monokultur pur.

Das ist auch bitter nötig, denn die wenigen verbliebenen Milchzahnkinder sind ja auf der ganzen Welt verstreut. Du musst ein Global Player sein und deine wenigen Produkte in allen Primetimes der Welt plazieren, damit bei dir noch was hängen bleibt.

Und dann diese schrecklichen Alternativprodukte: Pfui! Also startest du schnell Hetzkampagnen wie

Dein Leben hängt am (Zahn-)seidenen Faden.

Kaugummikauer sterben früher.

Bonbonlutscher sind Verbrecher!

und so weiter und so weiter.

Und dann die bösen Plagiate: Billig-Zahncremes aus China und Osteuropa, die von der Mafia in Deine Zielmärkte geschleust werden. Aber da kann man ja was machen. Zum Beispiel einen geschnappten Asiaten zehn Kilo kopierte Zahncreme essen lassen. Vor laufender Kamera. Das kommt sicher gut.

Und irgendwann geht’s dir dann wie EMI: Deine neue Zahncreme ist mal nicht so der Bringer und schon geht’s Bergab. Hast ja auch nur noch zwei bis drei Produkte.

Letzter Teil – Fragen über Fragen
WARUM also, versuchtst Du nicht mal, deine Zielgruppe zu erweitern? Zähne putzen tut jeder! Nicht nur die Milchzahnträger. Wie wär’s mit Zahnpasta für Erwachsene? Da gab’s doch mal soo viele tolle Produkte in deiner Entwicklungsabteilung. Früher. Und die muss man dann eben der Zielgruppe auch mal näher bringen. Da schlummert noch viel Potential. Die meisten Zähneputzer “putzen halt so mit dem was im Radio gesagt wird”. Haben keinen eigenen Geschmack. Na los doch, worauf wartest du?

Mit Analogien dieser Art lie�e sich endlos fortfahren. A pro pos: Würde sich Toyota nur auf den Verkauf des Ayo stützen? Oder VW einzig und allein auf den Fox? Oder DC auf den Smart ForTwo? Wohl kaum!

Aber die Major-Musikindustrie ist mittlerweile Monokultur pur bei gleichzeitig kleinstmöglicher Zielgruppe (Teenies mit Taschengeld und Zeit für (Single-)CDs).
Fast schon schadenfroh kann man sein, wenn es inder Meldung ernsthaft heiÃ?t, dass man sich von Robbie Williams “Rudebox” mehr versprochen hatte. Einem Album, von dem sogar die englische Presse in Worten wie “Boring millionaire’s karaoke“; “Disappointment of 2006” oder “An Album so shite, it could be a career ender” spricht! Sowas kann ja mal passieren, ist ja kein Problem. Nicht jedes Album ist eben ein Hit. Wenn man aber sein ganzes Unternehmen nur auf die 3 Robbies ausgerichtet hat, schon.

Es ist einfach traurig. Und es liegt nicht am Produkt, sondern nur am eurer Marktdefinition und daran, dass es ganze schlummernde Käuferschichten gibt, die nur darauf warten, von der täglichen Radio-Beliebigkeit erlöst zu werden und hin zu einem eigenen Geschmack geleitet zu werden.

Auf nachwachsende Milchzähne könnt ihr lange warten!


One Reply to “Von Monokultur und Zahnpasta”

  1. Haha…genau!Manch einer schwört sich sogar nie wieder Zähne zu putzen,weil die Geschmacksrichtungen alle scheiÃ?e schmecken und kaut lieber auf altenativen, exotischen Blättern und Früchten von Kleinstherstellern rum, weil die billiger und leckerer sind und sowieso viel länger vorhalten in Punkto Zahnpflege! Und wenn deren bisher kleiner Markt weiter wächst und sie auch noch Werbung schalten können und so im Radio und TV als hip wahrgenommen werden können, sterben die herkömlichen Zahnpastas vielleicht irgendwann völlig aus bzw. werden gezwungen auf Haustürvertreter und TV-Shopping umzusatteln, weil der Schrott sich bei den groÃ?en Drogeriemärkten nicht mehr verkauft, da dort inzwischen keiner mehr einkauft, um noch einigermaÃ?en ne Marge zu erwirtschaften. Die kleinen werden ja auch immer informierter und “erwachsener”. Das wird lustig!

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