Don’t call it RETRO!
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Das sollte der ganz große Rezensionsdurchbruch werden. Ein Riesenprojekt. Myriaden von Praktikanten sollten darin verschlungen werden. Ein Epos tolkien’schen Ausmaßes entstehen. Technisch abgesichert und allerlei Ubernerdkram: Ein Dauerlauf-Langzeit-Test sollte es werden:
Ein Album – Ein Jahr – Ein Team – Ein Rezensent – Ein Ergebnis – Ein Riesen Erfolgt – Ein Wahnsinn
Das Album “Back to Basics Chapter One” des Hospital Musikers Carlos “S.P.Y.” Lima sollte also einem KNALLHARTEN DAUERLAUF unterzogen werden. Wie klingen die Tracks im Regen. In der Nacht. Im Schlamm. Bei Minus 40 Grad in der schwedischen Eiswüste. Bei Plus 140 Grad in der Atakamawüste. Auf 50.000 Meter in diesem Red Bull Luftballon Dings da wo der Österreicher da runter sprang. Und so. Alles. Volles Programm. Mit Sponsoring.
Aber leider wurde es Eine Schnapsidee. Denn irgendwie schon doof, das nach nur dreieinhalb Monaten schon das Nachfolgealbum “Back to Basics Chapter Two” announced wird.
Wir hätten den Dauerlauf natürlich erweitern können. Zum Beispiel um die Fragestellung, was es für einen Sinn hat, MP3-Alben vor zu bestellen. Sind die Files dann größer? Kriege ich dann auch garantiert auch eins ab?
Da gibts ja eh keine Antwort drauf. Also Vollbremsung und die Zwischenergebnisse schnell gepostet, bevor der zweite Teil draußen ist.
S.P.Y.’s Debut Album aus 2012 war ja Breitwand Lushness und Flächenklang extrem. Auf Back to Basics hingegen macht er etwas, das leicht klingt (in both senses of the word), aber kaum jemand so formvollendet schafft: Er geht zurück zu den Wurzeln des Drum and Bass und macht Tracks, die nichts sein wollen, was sie nicht sind. Tracks die nicht retro sind, aber trotzdem die Vergangenheit zitieren. Ohne dabei wie ein Special Request in eine sterile Mikroskopschau der Einzelteile zu verfallen. Ohne nach Remake zu klingen. Und ohne unter dem Deckmantel der Reduzierung einfach stinklangweilige Tracks zu produzieren. Da ist nichts auf Daytime Radio verpoppt. Da ist nichts verbombastet. Aber auch nichts verprügelt oder verwobbelt. Kein Track klingt danach dass er mehr sein will als er ist.
Es ist jedoch schwer zu beschreiben was er denn da genau richtig macht. Klare direkte Stücke in der vollen Bandbreite des Drum’n Bass. Sie klingen Zeitlos, weil sie sowohl klare Referenzen aus der Geschichte aufgreifen, diese aber in ein Soundgewand von 2014 stellen, ohne wie Remixe zu klingen. Daraus entstehen einerseits Stücke mit Klassikerpotential und Stücke, die einfach sehr sehr oft gespielt werden können, ohne sich ab zu nutzen.
Man kann förmlich hören, wie S.P.Y. beim produzieren allen Funktions- und Bedeutungs-, Erwartungs- und Geschichtsballast abwerfen wollte und einfach nur gute, tanzbare zeitlose Drum’n Bass Stücke produzieren wollte. Das ist ihm so gut gelungen wie lange niemandem mehr.
Das Endergebnis ist der hörbare Markenkern des Drum and Bass. Dieses Album ist eines der schönsten Alben des Jahres. Ein Muss.
- 06. Cold Harsh Air (feat. Total Science & Grimm)
- 04. Step & Flow
- 09. Brooklyn Dub
808 Cowbell des Monats
In das Album reinhören: |