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Das Konzept dieser Compilation klingt fast als hätte sie jemand für die Rezension auf unserer Seite ma?geschneidert:
Rainer Trüby veranstaltet in Freiburg und Umgebung seit einigen Jahren Events unter dem Motto “Beats & ?xle“, auf denen erlesene Weine und gute Musik kombiniert werden. Laut seiner eigenen Aussage vor allem zum Zwecke der Bekehrung der Clubbing-Jugend zu gepflegtem Weinkonsum statt Alkopops.
Basierend auf dieser Reihe wurden nun sechs handverlesene Weingüter aus Südbaden ausgewählt. Jedes Weingut präsentiert zwei Weine (?xle) und die dazu passenden Kochrezepte (Bites). Diese zwölf Weine und Rezepte werden von einer CD von Rainer Trüby mit 14 ausgewählten Jazz, Soul und House Stücken aus dem Sonar Kollektiv Archiv begleitet (Beats). Der Compilation liegt ein aufwändig gemachtes 48-seitiges Booklet bei, in dem alle Weingüter, deren Inhaber sowie die Rezepte und Weine ausführlich beschrieben werden. Bei den Rezepten ist alles mögliche vertreten. Vom “Maultäschle” über “Lammkotelett Rosmarin mit Brägele und Speckbohnen” bis zu “Gebratenen Steinbutt mit Kartoffeln-Kapern-Ragout und Beurre Blanc“. Manche Rezepte stammen dabei von Sterneköchen. Insgesamt das perfekte Paket, die perfekte Symbiose von Set und Setting. Bei Sonar Kollektiv kann folgerichtig auch das komplette Weinpaket mit allen gefeaturten Weinen bestellt werden
Das Album passt daher vor allem deswegen in unser Rezensionsschema, weil man es so schön von zwei unterschiedlichen Seiten sehen kann:
Variante 1: Die Verachtung
“Kann es einen besseren Beweis für die Arriviertheit, Sättigung, ja Dekadenz und Prostitution eines ganzen Genres geben, wenn die Musik zum blo?en Beiwerk eines hedonistisch-konsumbejahenenden Pseudo-LOHA-Lebensstils der in die Jahre gekommenen Ex-Clubber Zielgruppe geworden ist? Wie billig, wie angepasst, wie erschreckend Mainstream ist das? Der schmale Grat zwischen Weinkeller und Käsetheken-CD ist hier ja wohl eindeutig überschritten worden.”
Variante 2: Die Bewunderung
Aufmerksame Leser wissen: Wir verfolgen u.a. den Ansatz der APLLICATIONAL MUSIC, also der Theorie, das Musik besondern dann “funktioniert”, wenn Sie einen klaren “Nutzwert” hat und ein eindeutiges Anwendungsszenario bedient. Oder auf deutsch: Musik ist dann gut, wenn sich ihre “Message” auf einen Hunde-Befehl verdichten lässt. Also z.B: “SITZ!” (z.B. Downbeat, Lounge), “TANZ!”, “FRISS!”, “FICK!”, “FAHR!” oder auch “MACH AUS!”.
In diesem Licht betrachtet, kann es kaum ein vollständigeres Package geben: Musik zum Wein trinken und gut essen. Hallo?
Unsere Präferenz liegt also klar auf Variante 2. Wobei als Korkgeschmack im Weingenuss die CD wirklich etwas ins Hintertreffen gerät, da sie nichts besonderes ist. Es sind insgesamt alles sehr solide und geschmackssichere Stücke dabei. War mir an manchen Stellen fast etwas zu “upbeat” zum Essen, bzw. Trinken. Würden wir hier Ratings vergeben, würde ich die CD mit einer “7 von 10” bewerten. Es mag musikalisch innovativere Selektionen geben, aber in Summe bleibt es ein solides, absolut stylesicheres Paket. Eigentlich hat es aber mit Wein und Essen überhaupt nichts zu tun. Das Booklet kann man auch schön rumreichen und die Gäste drin schmökern lassen. Aber dann wären wir ja wieder bei Variante 1…
UND ACHTUNG! Da das Konzept so genial gut ist, bietet es sich an, das auch bei anderen Genres anzuwenden. Natürlich in Getränk und Essen auf das jeweilige Setting angepasst. Daher hier unsere ultimative Vorschlagsliste für Line-Extensions:
“From Klicker to Knäcke”
Zum Soundtrack von insgesamt vier 20 Minuten langen Minimal-“Orgien” – die von den wichtigsten Top-DJs jeweils aus nur einer Bassdrum und einer HiHat bestehen produziert wurden – präsentieren 287 Mineralwasser-Hersteller Ihre Kohlensäurefreien Tafelwässer. Gegessen wird feinstes ungesalzenes Knäckebrot. Ein audibiles und kulinarisches Festessen. Bestens als Vorbereitung für eine Fastenkur geeignet.
“GGG – Guarana, Gastro und Geniales”
Feine Auswahl von sieben der weltweit koffeinhaltigsten Getränke und dem jeweils dazu am besten geeignetsten Gastritis-Mittel das man ohne Rezept in der Apotheke kaufen kann. Als Begleitung liegt eine 45 minütige CD mit insgesamt 34 Drum’n Bass Titen der härteren Gangart bei.
“Schnittchen, Schnitten, schicke Wagen – Feierspa? auf Ibiza”
Sollte eigentlich ein Beitrag in RTL Exclusiv werden. Aber nachher wurde es eine 5-CD-Discohouse Compilation mit einem dicken Booklet über die Zubereitung von Lachshäppchen sowie der Zubereitung einer blonden Dauerwelle nebst Indianer-Leder-Bräune.
“Brätz! ?tz! Bläht’s?”
15 Tracks aus den Ed-Banger Katalog, gepaart mit den Kauftipps wo’s die billigsten Discounter-Dosenbiere und die fieseste Ravioli aus der Dose gibt.
Ein paar Anmerkungen von meiner Seite sind dann doch noch notwendig:
- Gerade dem deutschen Wein wieder ein wenig jüngeres Publikum zuzuspielen ist auf jeden Fall eine Idee, die meine Anerkennung verdient. Wobei man – wie ich gerade wieder auf einer Weinmesse feststellen konnte – auch mit Mitte 30 noch zu den jüngeren Weintrinkern gehört. Es gibt geniale deutsche Weine und dem fast schon selbstverständlichen Griff zu Südweinen oder solchen aus der Neuen Welt mu? Einhalt geboten werden. Dies geschieht zum einen dadurch, dass bei den Winzerinnen und Winzern ein Generationenwechsel stattfindet und viele sich mit “Jungen Wilden”-Image oder absoluter Konzentration auf Qualität statt Quantität dem jungen (zahlungskräftigen) Publikum öffnen und wird zum anderen durch Aktionen wie dieser hier gestützt. Wenn man also Wein als Genu?mittel ansieht, dann wird Beats, Bites & ?xle zu einer runden Sache.
- Allerdings geht mir die Idee mit der Musik dann eigentlich nicht weit genug. Denn mal ganz ehrlich: Das Lounge-Mukke zum weintrinken passt ist nicht unbedingt eine neue Erkenntnis. Denn Lounge-Mukke passt eigentlich zu Allem. Und beim Essen gibt es ganz klar und selbstverständlich 1:1 Zuordnungen zwischen Wein und Gericht. Und genau das hätte ich mir bei der Mukke auch gewünscht. Eine 1:1 Zuordnung. Also soweit zu gehen zu jedem Wein einen einzelnen Track zu haben, der den Wein charakterisieren soll. Eben einfach einen Schritt mutiger, denn sonst…..
- ..läuft die Idee Gefahr in der brutalstmöglichen aller Wohlfühlwelten einfach unterzugehen.
Aber wenn mein Kollege die koffeinhaltigen Getränke übernimmt, dann mache ich eine Kompilation mit meinen 6 Lieblingsweinen und Tracks, die diese Weine charakterisieren!
- wären wir so cool wie wir immer tun, würden hier natürlich unsere Lieblingsweine stehen. Weil wir aber zu feige und zu geizig waren, das ganze Weinpaket zu bestellen, lassen wir’s diesmal lieber ganz. Au?erdem ist dies im Einklang mit dem Gesamtpaketscharakter.
Ich möchte mal das Schlagwort meines Kollegen, nämlich Applicational Music einer deutschsprachigen Verwendung zuführen und deshalb hier von anwendungsabhängiger Musik sprechen, wohl wissend, dass es das nicht zu 100% trifft. (application = The act of put