Ein deutlich wahrnehmbarer Effekt der gegenwärtigen Corona Krise ist der gefühlt bisher nie dagewesene Anstieg an neuen Releases im Bereich der in diesem Blog behandelten (UK) „Dance Music“. Die schiere Anzahl an Tracks die jeden Tag neu veröffentlicht wird, sprengt jeden bisher vorstellbaren Rahmen.
Wir denken hier in den Connaisseur Vorstandsetagen ernsthaft über eine kurzfristige Vertausendfachung unserer Rezensionskapazitäten durch das anwerben von Off- oder Nearshore Kapazitäten nach. Irgendjemand muss ja alleine all die neuen Tracks mal anhören.
Vor diesem Hintergrund ist der Output des Briten Laurence Reading aka Halogenix umso bedeutender. Seine Vita ist ja an sich schon wunderkindish: als Teil von Ivy Lab hat er ja quasi Halftime neu erfunden und sich zusammen mit Stray und Sabre bereits einen Platz im Olymp der „ich-mache-heute-Tracks-bei-denen-man-erst-in-10-Jahren-merkt-dass-die-technisch-gar-nicht-möglich-gewesen-sein-können“-Produzenten gesichert.
Seit seinem Weggang von Ivy Lab in 2018 macht er also nun fulltime solo weiter.
Zwei seiner aktuellen Releases haben mich so dermaßen grundlegend verändert, dass ich das hier rausschreien MUSS. Dabei geht es weniger um spezifische Superlativen, als vielmehr um das Gesamtwerk. Die bei mir das Gefühl von „ich durfte PERFEKTION hören“ und „how. Did. He. Do. This?“ auslösen und ich auch nach mehreren Wochen nicht erklären kann, WAS und WARUM das so ist.
Doch der Reihe nach: Seine Dragonforce EP auf Critical VERÄNDERT. ALLES.
Alles fängt harmlos an. Der EP Titeltrack Dragonforce ist m.E. nichts Außergewöhnliches. Minimaler Tech Funk auf höchstem technischen Niveau. Seine eigene Genialitätslatte bei jedem Release überhaupt zu erreichen, stell ich mir nahezu übermenschlich schwer vor.
Aber dann: Die 3 weiteren Tracks der EP Indipendent, Tekina und Reminisce sind schlicht einzigartig. Ich kann nicht erklären, welche einzelnen Elemente es nun genau sind. Für mein persönliches Empfinden ist alles – darf man das sagen? – PURE PERFEKTION. Das Arrangement, die Art der Vocal snippets, die twists und turns und die unfassbare Produktion, die ihre Message THE FUTURE OF TOMORROW IS HERE RIGHT NOW direkt ins Rückenmark beamt. Auch nach einem de-facto Dauerlauf von mittlerweile mehreren Tagen Spielzeit kann ich mich der Magie dieser Tracks nicht entziehen, sie nicht erklären.
Ich stelle mir vor, wie viele Drum & Bass Produzenten nach dem Hören wohl vor lauter Ehrfurcht ihre Tätigkeit eingestellt haben, weil sie vor dieser Wucht an Genialität schlichtweg aufgeben müssen.
Ja, ja, in diesem Blog sind wir schon oft unserer Euphorie erlegen und haben uns willfährig den vielen Tracks der vergangenen Jahre unterworfen (das war auch der Grund zur Gründung dieses Blogs vor mehr als 15 Jahren). In meinem Fall zu häufig ausgelöst durch die immer gleichen pawlow’schen Reflexe zu Sugar-Sweet-Vocals, Euphorie-Festival-Summer-Bangern etc. Lacht mich nur aus.
Aber die Dragonforce EP schlägt hier ein ganz neues Kapitel auf.
Das weis auch Halogenix, denn wer veröffentlicht schon ein extra T-Shirt für eine einzelne EP? WTF!?!?!
Hört euch das an und vielleicht trifft es manche von Euch so ins Herz wie mich.
So und war’s das jetzt? Nein, denn Halogenix setzt NOCH EINEN DRAUF. Und wenn ich glaubte, dass es genialer, perfekter, zeitloser und unfassbarer nicht geht, dann hat er mit seinem Berry Patch Remix von Hachinedrum & Holly noch einen draufgesetzt. Wie geht Perfektion perfektionieren?
Bei diesem Track liefen mir – wortwörtlich – die Freudentränen. Es folgte eine 4 stündige Dauerhörsendung dieses einzelnen Tracks. Kann mich nicht erinnern, in den letzten whatever 30 Jahren so berührt worden zu sein. Der erste Gedanke: „na jetzt kann ich mich in Ruhe zum Sterben hinlegen, habe alles gehört, was man hören muss“. Der Track der alles beendet.
Wieder kann ich nicht in Worte fassen, WAS GENAU im Einzelnen jetzt an diesem Remix so besonders ist. Die ständigen Wandlungen des Arrangements? Die Anti-Drops die gleichzeitig doch Pro-Drops sind? Dieses „ich-bin-Neuro-und-Liquid-und-der-krasseste-Noisia-Track-GLEICHZEITIG“? WAS MACHT ER DENN DA? Keine Ahnung.
Ich falle auf die Knie vor Ehrfurcht und Dankbarkeit ob dieses Meisterwerks. Halogenix, what the FUCK did you do? Why are you doing this to us?