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Connaisseur_M:
Warum genau wir hier nun sowas besprechen, kann mein Kollege besser erklären. Es war auf jeden Fall eine ziemliche Strapaze das durchzuhören. Nicht weil es schlecht gemacht wäre, im Gegenteil. Man hört schon raus, dass die Bandmitglieder Ihre akustischen Instrumente auch wirklich beherrschen und nicht nur Loopfrickler sind die sich laienhaft über alles hermachen, was keine Stromkabel hat. Vor allem wenn die E-Gitarren nicht so laut sind, geht hier schon was. Aber vor allem unter Kopfhörer wei? ich nie so genau, ob meine Tochter im Schlaf weint oder im Song was wimmert. So fängt’s schonmal an.
Der Sound ist als “Musik”, also als aktiv laufendes Album, aber kaum zu ertragen. Mir fallen ständig Worte wie “Noisecore” ein, obwohl ich nichtmal wei?, ob es das gibt. Oder Tortoise. Aber nach sorgfältiger Analyse wird wieder einmal klar, was hier keiner verstanden hat: Nämlich, dass es gar kein Musikalbmum ist, sondern “Applicational Music“, also Musik die nicht alleine stehen soll und kann, sondern zielgerichtet auf bestimmte Zwecke ma?geschneidert wurde. Auf solche Konzepte stehen wir hier total, da es per se frei ist von Hypes. Es sei denn diese Musik wird missbraucht oder ihrer Umgebung geraubt und aus dem Zusammenhang bewertet.
Und welche Einsatzgebiete das in diesem Fall sind, ist mir dann auch sehr schnell klar geworden:
- Soundtrack für David Lynch Filme
Das Ding war eine Bewerbung an seine Produktionsfirma und hätte nie released werden sollen. Aber sag das mal einem Ami, der den starken französischen Dialekt am Telefon nicht versteht und sofort denkt, that this is the new euro shit, man! - Soundtrack für RTL II Doku Soaps
Klar das wäre Perlen vor die Säue, aber man braucht halt auch Tracks um Szenen zu unterlegen, in denen die 35 jährige Gothic-Mutter aus “Frauentausch” im Wohnzimmer der Zeugen-Jehovas-Familie ihren Weinkrampf bekommt, weil die Austauschfamilie ihr verboten hat, Ratten in der Wohnung rituell zu schlachten. Oder wenn RTL2 in der Polit-Show erklären muss, was das Wort Kakophonie bedeutet. - Untermalung des neuesten Point-and-Click Horror-Adventures aus Rumänien
- Auftragsarbeit des chinesischen Wirtschaftsministeriums
Was tun, wenn die Wirtschaft schneller wächst, als es gesund ist? Wenn alle Direktiven für mehr Nachhaltigkeit in der nächstbesten Provinz ignoriert werden? Man versucht es unterschwellig: Solche Mucke in allen Stra?en und Plätzen laufen lassen und schon ist das Volk so deprimiert, dass das BIP um drei Prozentpunkte sinkt.
Fazit: MISSION ACCOMPLISHED! Für alle diese Gebiete ist diese CD definitiv geeignet. Zum anhören eher weniger.
Connaisseur_J sagt:
Zu verstörend. Zu fordernd. Aber ich finde man kann das hören wie ein Hörbuch. Also als durchaus anspruchsvolles Entertainment, dass einem einiges abverlangt aber dafür auch einiges zu bieten hat.
Ein Gesamtkunstwerk wie anspruchsvolles Autorenkino eben oder die von Dir angesprochenen eben auch verstörende Filme von Lynch. Schaust Du Dir ja nicht jeden Tag an, aber ab und an bietet einem Lynch genau das was man braucht, ohne, dass man es auch vorher nur ansatzweise geahnt hat. Genauso hier. Hätte nie auch nur geahnt, dass mich so eine Performance zu berühren vermag. Danke für die Erweiterung meines Horizonts. Meine Anspieltipps sind alle drei Titel, die sehr stark “spoken word” lastig sind, deswegen meinem Hörbucheindruck am nächsten kommen und wenn ich die drei plus Nummer 7: In between gehört habe brauche ich ohnehin erstmal eine Pause. Denn das ganze Album am Stück ist auch mir zuviel und experimentell…..
- 4. Sonic glimpses
Bei Myspace anhören - 3. Cleanliness is next to godliness
- 6. While the sun burns out another sun
Und danke für die Idee der Applicational Music, treffender kaum zu formulieren.
Bin weiterhin am hadern, ob ich mich jetzt der weiteren theoretisch wissenschaftlichen Ausarbeitung dieses Themas widmen soll, oder doch der Doktorarbeit über 808 Open Hihats. Hmm.